Inflation in Venezuela: Geld gibts nur kiloweise

Venezuela ist von extremer Inflation geplagt: Der Wert der einheimischen Währung fällt so rapide, dass man Rucksäcke braucht, um im Restaurant zu zahlen. Überfälle auf Geldtransporter sind sinnlos.

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Hundert Dollar und der Gegenwert in Bolívares

Die SMS kommt um 15.30 Uhr: “Das Geld ist jetzt da, du kannst es abholen”. Da, das ist ein kleiner Handyladen in einem Einkaufszentrum. Eine junge Frau hinter dem Tresen lächelt professionell und nickt fast unmerklich mit dem Kopf – ein Wink, ins Hinterzimmer zu folgen.
Dort steht in einer großen Tasche der Gegenwert von 200 Dollar in der heimischen Währung: 186.000 Bolívares, also 1860 Scheine, weil es keine größeren Scheine als Hunderter gibt. Neun Bündel, dick wie Backsteine, jedes wiegt rund 220 Gramm, insgesamt zwei Kilo. Und für den nächsten Tag braucht es einen neuen Termin, zur Übergabe weiterer 93.000 Bolívares zum Parallelmarktkurs von 1000:1 – abzüglich der sieben Prozent, die der Schwarzmarktwechsler einstreicht.
Das Hinterzimmergeschäft ist in Venezuela halb legal. Der Tausch der in dem Land dramatisch knappen Devisen auf dem Parallelmarkt ist nur dann zulässig, wenn das Geld von draußen kommt und nicht dem nationalen Kreislauf entzogen wird. Aber wie will man das nachweisen, wenn einem plötzlich ein Polizist gegenüber steht? >Venezolaner wickeln diese Geschäfte deshalb vorsichtshalber im Verborgenen ab.

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Bolívares im Wert von 100 Dollar

Wer in das einst reiche Erdölland fährt, der sollte viel Bargeld dabei haben. Ein Essen für zwei in einem Restaurant kostet 30 bis 40, eine Taxifahrt zwei bis vier Dollar. Wer die Kreditkarte nutzt oder Geld am Automaten abhebt, zahlt gut ein Drittel mehr. Der Haken: Wer bar zahlt, muss immer einen ganzen Rucksack voller Bolívares mit sich führen – und Zeit haben. Das Zahlen im Restaurant dauert schon mal zehn Minuten: Hunderte Scheine abzählen – und dann zählt der Kellner noch mal nach.
Ein Kilo Zucker: Zwischen 94 Cent und 94 Dollar
Im vom Ex-Präsident Hugo Chávez ausgerufenen “Sozialismus des 21. Jahrhunderts” kontrolliert der Staat fast das gesamte Wirtschaftsleben: Geldpolitik, Devisenhandel, Preise. Für den Bolivar gibt es drei verschiedene Wechselkurse. Der offizielle Devisenkurs ist 10:1, zu dem können Unternehmen begrenzte Mengen Dollar für den Import wichtiger Güter tauschen. Den Kurs für alle anderen finanziellen Transaktionen von 620:1 und den Parallelmarktkurs von 1000:1.
Das führt in der Mangelwirtschaft mit seinem riesigen Schwarzmarkt zu großen Verwerfungen. Ein Kilo des besonders knappen Zuckers kostet dort derzeit 938,20 Bolívares. Laut offiziellem Devisenkurs sind das rund 94 Dollar – wer auf dem Parallelmarkt tauscht, zahlt dagegen nur 94 Cent.
Wer in Venezuela reich ist oder Zugang zu Dollar hat, lebt auch in der Mangelwirtschaft gut. Die Tankfüllung für den SUV kostet weniger als eine Flasche Wasser. Wasser und Strom, beides staatlich reguliert, kosten kaum mehr als ein paar Dollar im Monat. Wer Kontakte zum System hat und Vorzugsdollar bekommt, kann beste Geschäfte machen. Er zahlt zehn Bolívares für einen Dollar – und tauscht ihn auf dem Schwarzmarkt für 1000 Bolívares zurück.

Inflation steht bei 720 Prozent

Venezuela hat eine der höchsten Inflationsraten der Welt. Der Internationale Währungsfonds (IWF) schätzt, dass sich die Teuerung in diesem Jahr bei 720 Prozent einpendelt. 97 Prozent seiner Deviseneinnahmen erzielt das Land mit dem Verkauf von Erdöl – dessen Preis in den vergangenen Jahren um mehr als die Hälfte abgestürzt ist. Weil das Land so gut wie alles importieren muss, reichen die Einnahmen nicht mehr – und auch Nahrungsmittelimporte werden zurückgeschraubt.

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REUTERS

Supermarkt in Caracas

Schon jetzt ist das Land dem Kollaps nahe. Die Menschen stehen vor Supermärkten Schlange für Basisprodukte, die es immer seltener gibt. Die Preissteigerung frisst den staatlichen Mindestlohn von 15.000 Bolívares auf, mit dem gut zwei Drittel der Venezolaner auskommen müssen. Nach Berechnungen des privaten Dokumentationszentrums CENDAS braucht es gegenwärtig 15 Mindestlöhne, um eine fünfköpfige Familie zu ernähren. Große Teile der venezolanischen Bevölkerung leiden Hunger.
Ein Geldtransporter-Überfall lohnt sich nicht
Germán García-Velutini kennt die Absurditäten des Tropensozialismus à la Chávez gut. Der Eigentümer der Banco Venezolano de Crédito, eines der ältesten Geldhäuser des Landes, empfängt auf der neunten Etage. Von seinem Büro blickt er auf die grünen Hügel um Caracas – und die Dächer eines Armenviertels. Ein livrierter Ober reicht Kaffee und Wasser.
“Ein Überfall auf einen Geldtransporter lohnt sich in Venezuela gar nicht mehr”, sagt García-Velutini mit einem Schmunzeln. “Da kann man gerade mal den Gegenwert von 16.000 Dollar erbeuten”. Auch dass es keinen größeren Geldschein als den Hunderter gibt, liege am Ex-Präsidenten: “Die Regierung von Präsident Hugo Chávez wollte immer eine starke Währung”, sagt der Bankchef. “Da passten größere Noten nicht zur Ideologie, damit nicht der Anschein von Inflation erweckt wird.”
Die Folgen sind absurd. Geldnoten sind knapp, die Notenbank druckt ständig neue Scheine. Alleine im vergangenen Jahr hat sie die Geldmenge verdoppelt und europäische Druckereien müssen aushelfen. An den Geldautomaten werden die Summen, die man abheben kann, ständig reduziert. Makler und Autoverkäufer preisen nur noch in Dollar aus und selbst Entführer verlangen Lösegelder angeblich nur noch in Dollar.
Auch das Geschäft von García-Velutini und seiner Bank lohnt sich eigentlich nicht mehr. Die Zinsen für Kreditgeschäfte sind staatlich auf 24 Prozent gedeckelt, aber die Inflation ist schon seit Jahren im dreistelligen Bereich. So schaut García-Velutini zu, wie er und seine Bank Geld verlieren. Seine Vermögenswerte sind in den Jahren der Krise von 400 Millionen auf sieben Millionen Dollar geschrumpft.
Aber das Land verlassen wird Germán García-Velutini nicht. Er ist in vierter Generation Banker in Venezuela. “Entweder du gehst – oder du bleibst”, sagt er. Wer bleibt, müsse bis zum Ende durchhalten. “Lang kann es ja nicht mehr dauern, bis diese Regierung am Ende ist.”
Quelle: Klaus Ehringfeld

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