Venezuela vor dem Kollaps: “Manchmal essen wir Hühnerfutter”

Venezuela hat die größten Ölreserven der Welt – und ist trotzdem ein Sozialfall. Dem Volk mangelt es an allem, dafür wächst die Wut. Hier schildern Venezolaner, wie sie ums Überleben kämpfen.
Vor allem ein Bild prägt sich dem Besucher in diesen Tagen in Venezuela ein: Es sind die Menschen, die zu Hunderten vor Supermärkten Schlange stehen. Zu jeder Tageszeit und oft auch nachts reihen sich Rentner, Erwachsene und Kinder vor den Geschäften auf und hoffen auf die Lieferung der staatlich kontrollierten Produkte.

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Blanca Bautista und Sohn Gabriel

Rund vier Stunden täglich bringen die Venezolaner damit zu, auf Maismehl, Klopapier, Fleisch, Butter, Zahnpasta, Deodorant oder Windeln zu warten. Aber man weiß nie, ob die Lastwagen mit der ersehnten Ware kommen, was sie bringen, wie viel sie bringen – immer öfter bringen sie gar nichts. Venezuela im Sommer 2016 ist ein Land, in dem nur der Mangel im Überfluss vorhanden ist. Zudem pulverisiert eine der höchsten Preissteigerungsraten der Welt die Ersparnisse und Löhne der Menschen. In einem der rohstoffreichsten Länder der Welt sind viele Menschen inzwischen von Hunger bedroht.
Kinder gehen nicht in die Schule, bekommen zu Hause nichts zu essen. Krankenhäuser schließen ihre Operationssäle, weil Ersatzteile für wichtige Apparate fehlen. Sterbenskranke Menschen erhalten lebenserhaltende Medikamente nicht. Und Unternehmen aller Branchen stellen ihre Produktion ein, weil der Staat ihnen keine Devisen zuteilt und sie so keine Zutaten oder Ersatzteile importieren können.
Venezuela im Sommer 2016 nimmt direkten Kurs auf den Kollaps.

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Marodes Schulsystem in Venezuela: Unterricht in der Garage
Der “Sozialismus des 21. Jahrhunderts”, einst von Venezuelas charismatischem Präsidenten Hugo Chávez für das Erdölland erfunden, ist 17 Jahre nach Beginn des Experiments am Ende. Das Land mit den größten Ölreserven der Welt: ein internationaler Sozialfall. Venezuela produziert nichts mehr außer Öl, muss fast alles importieren. Aber da der Ölpreis um fast zwei Drittel gefallen ist, reichen die Staatseinnahmen nicht. Aber die Regierung des amtierenden Präsidenten Nicolás Maduro kürzt lieber die Importe als die Staatsanleihen nicht zu bedienen.
Zwischenzeitlich rationierte Venezuela auch den Strom. Im April hatte die Regierung wegen häufiger Stromausfälle und Strommangels einen Notfallplan aufgestellt, um Energie zu sparen. So wurde etwa die Arbeitswoche im öffentlichen Dienst auf zwei Tage verkürzt, die Schulen blieben freitags geschlossen.
Jetzt hat das Land dank abklingender Dürre seine Stromrationierungen beendet. Ab Montag werde die Versorgung mit Elektrizität wieder normal funktionieren, sagte Präsident Nicolás Maduro am Freitag im Fernsehen. Die Stromversorgung in dem Opec-Land hängt zu 60 Prozent von Wasserkraftwerken ab, denen die schwere Dürre zu schaffen machte.
Gegner werfen der Regierung vor, zu wenig in den Ausbau und die Wartung der Energie-Infrastruktur zu investieren. Zudem sorgen großzügige Subventionen dafür, dass das südamerikanische Land zu den größten Stromverbrauchern in der Region gehört.
Die Regierung sucht trotzdem die Schuld für die Misere bei anderen. Die bürgerliche Opposition und die USA führten einen Wirtschaftskrieg gegen das südamerikanische Land, so die ständige Rechtfertigung. Präsident Maduro hat gerade noch 18 Prozent Zustimmung in der Bevölkerung, von der Macht will er dennoch nicht lassen. Aber die Gegner seiner linksnationalistischen Regierung drängen auf ein Abberufungsreferendum gegen ihn. Gegenwärtig prüft der Wahlrat, ob die Voraussetzungen für das Volksbegehren erfüllt sind.
“Wenn die Regierung das Abberufungsreferendum nicht zulässt, dann kommt es zu einem sozialen Aufruhr”, warnt Oppositionsführer Henrique Capriles im Interview mit SPIEGEL ONLINE. Venezuela im Sommer 2016: Ein Land, das jederzeit explodieren kann.
Quelle: Klaus Ehringfeld

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